Torre de Moncorvo - oder - wo die Liebe hinfällt

21.03.2020

Das mit der Liebe zu einer Gegend ist genau so seltsam, wie mit der Liebe zu einem Menschen: der nüchterne Blick sagt mir "Hier ist nix Besonderes. Hier ist es trocken, ein bisschen grün, es  hat ein paar Hügel und ja...

... viele Olivenbäume und ... Hochspannungsleitungen."

Aber ich blicke überwältigt zum Horizont und denke: ist das schön! Das mag ich. Ohne zu wissen warum. Einfach weil diese Landschaft so still, so schlicht, so ruhig und doch kraftvoll daliegt.

Eintreffen im Dunkeln

Die Umgebung ist in Abendrot getaucht, als ich auf der alten Landstrasse einer 180-Grad-Kurve entlang gehe und mich damit in die Richtung drehe, in der das Städtchen Torre de Moncorvo, im Nordosten von Portugal, liegt. Schlagartig ist es dunkel. Nur der Vollmond leuchtet mir entgegen und ein paar Schritte später sehe ich die Lichter von Torre de Moncorvo.  

Es sind viel mehr Lichter als erwartet. Ich hatte, hier in der Pampa, mit einem grösseren Dorf gerechnet. Recherchiert hatte ich es nicht. Nun erfahre ich: es leben 2'891 Menschen hier.

Zwei davon lerne ich sofort kennen: Den Chef des Hotels, der Englisch aber kein Wort Französisch kann. Er schwärmt mir voller Stolz von den zwei Restaurants in unmittelbarer Nähe vor. Er vertritt die Ansicht, ich soll da unbedingt zum Abendessen gehen. Mir ist nicht klar: isst man da so gut, dass er findet, ich darf das nicht verpassen? Ist es ihm wichtig einen Gast zu vermitteln? Gehören die Restaurants vielleicht ihm?
Egal, für's Einkaufen ist es sowieso zu spät. 


Ein Abendessen wie zu Hause

Im Restaurant "O Lagar" lerne ich die Bedienung kennen, die nicht nur sehr gut französisch versteht, sondern mich auch so bedient, dass ich mir an meinem Tischchen kein bisschen "vereinzelt" vorkomme.
Vielleicht liegt es an den anderen Gästen, sicher aber auch an der Einrichtung und an der Art, wie ich bedient und bekocht werde. Die anderen Gäste schauen mich ab und zu mal kurz an. Interessiert, aufmerksam, etwas neugierig, aber kein bisschen aufdringlich. Als wären sie ein bisschen für mich verantwortlich.

Die Bedienung hat nichts Steifes und Professionelles an sich. Kein Verkaufsgehabe, keine aufgesetzte Lockerheit. Dieses Restaurant ist das Zuhause der Dame, das spüre ich und ich bekomme nun, direkt aus ihrem Suppentopf, die Vorspeise, dazu Oliven und Brot.
Die regionale Karte schlägt für den Hauptgang Fisch vor. Klingt gut. "Ist der Fisch filetiert?" frage ich. Nach einem Fiasko mit einer nicht entgrätbaren, gebratenen Dorade in Porto, bin ich diesmal vorsichtig. Die Sorge, dass ich mich wieder mit Gräten herumschlagen muss, ist unbegründet. Der Fisch ist unkompliziert wie Fischstäbchen, nur viel aromatischer und leckerer.

Einen kurzen Spaziergang zum beleuchteten Herzstück des Städtchens, dem Torre, mache ich noch. Den Rest der Stadt will ich mir bei Tageslicht ansehen. 

Das Herzstück der Stadt: der Turm (Torre)
Das Herzstück der Stadt: der Turm (Torre)


Impressionen am Morgen

Nachdem ich den Rolladen hochgezogen habe, sehe ich direkt auf den Gratisparkplatz der Stadt. Noch sind nur vereinzelt Personen unterwegs, doch nach und nach parkieren die Autos, die Leute laufen zum Geldautomat, gehen wieder weg, kommen zurück und fahren wieder raus.

Ich treffe auf einige modernere Geschäfte, aber vor allem auf viele Gebäude mit Geschichte. Als ob diese Leute und diese Häuser schon ewig da wären.
Sind sie vermutlich auch. 

Hier herrscht die Zeitlupe. Die Zeit steht nicht still. Aber sie hat es nicht eilig. Man hört Schritte, Vögel, Autos. Kein Mensch rennt. Jeder geht seinen Dingen nach. Manche stehen in Ruhe beisammen. 

Sobald ich die Hauptplätze verlasse, zeigt das Städtchen sein anderes Gesicht: es ist eine einzige Strassenbaustelle. 

Dies alles verbreitet seinen eigenen Charme.

Im Rückblick kommt es mir vor, als gehe da etwas im gleichen Takt: das Tempo dieses Städtchen und ich. Wir passen gut zusammen. Besser als das pulsierende Porto, das zwar viel rausgeputzter und beeindruckender ist.
Schlicht, alt und ruhig, ist eben auch schön. Für mich sogar ein bisschen schöner.

Und so ist eins sicher: ich werde dem Zufall auf die Sprünge zu helfen versuchen und gelegentlich wieder mal das Städtchen besuchen. Da, wo eigentlich gar nicht viel ist, wo ich mich aber durch den Rhythmus, die Stimmung, das Licht, die Weite und die Art der Leute doch wohlgefühlt habe.

© 2019 besser-als-zuvor, Daniela Räber, 6356 Rigi-Kaltbad
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