Disentis & Portugalpläne ade! Ein Traum zerbricht.

20.03.2022

"Ist all das was passiert ist nun ein Glück oder ein Unglück?" fragte ich Freya, als ich ihr im Personalbüro der Disentiser Bergbahnen meine vorzeitige Kündigung überreichte. Wir zuckten beide mit den Schultern Man kann es sehen wie man will. Doch schon jetzt denke ich: es ist gut, wie es ist; auch wenn manches noch weh tut.

Aus Antonios und meinem Plan im Sommer in Portugal ein Haus zu suchen wird nichts. Wir haben unsere Beziehung beendet. Ich habe Disentis am 1. März. vorzeitig verlassen. Jetzt gerade gönne ich mir eine Phase des Nichts-Tun um zur Ruhe zu kommen und Kraft für den neuen Abschnitt zu sammeln.

Blick aus dem Personalzimmer in Richtung Disentis. Vorne das Catrina Resort
Blick aus dem Personalzimmer in Richtung Disentis. Vorne das Catrina Resort

11. Januar: der Anfang vom Ende

Gekratzt hatte mein Hals schon als ich an diesem freien Nachmittag spazieren ging. In der Nacht bekam ich Fieber: 38,7. "Hoffentlich nicht Corona", dachte ich. "Nicht das auch noch...!" Antonio redete schon seit zwei Tagen kein einziges Wort mehr mit mir. Das war schwierig genug. 

Am Mittag des 9.1. hatten wir noch gemeinsam friedlich Kaffee getrunken. Doch als ich abends von der Arbeit zurückkam reagierte er nicht auf mein "Hallo". Er sass demonstrativ abgewendet auf seinem Bett, hatte die grossen, schwarzen Kopfhörer auf und starrte auf den Bildschirm seines Computers. 
"Irgendetwas ist los, aber er will nichts sagen", dachte ich. 
"Ich muss ein schweres Verbrechen begannen haben" vermutet ich zwei Tage später. Noch nie in meinem Leben, war ich mit einem so andauernden und durchdringenden Schweigen konfrontiert worden. Schon gar nicht ohne jede Erklärung. 

So fieberte ich nachts vor mich hin, umgeben von diesem mächtigen Schweigen. Mit einer Bettflasche und heissem Lindenblütentee kämpfte ich gegen die Eiskälte in meinem Inneren und den Schüttelfrost an. 

Am nächsten Morgen zeigten die beiden Corona-Selbsttest: Antonio und ich sind positiv. Als wir vor unseren Tests sassen, versuchte ich wieder mit Antonio ins Gespräch zu kommen. Tatsächlich bekam ich endlich Antworten. Aber mit den Antworten war auch unsere Beziehung zu Ende. 

Antonio war überzeugt, dass ich an unserem gemeinsamen Arbeitsort eine Affäre mit einem anderen Angestellten habe. Und nicht nur das: er hatte einen ähnlichen Verdacht schon im Sommer gehabt, hatte aber nie etwas gesagt. Ich war schockiert und erstaunt, aber auch erleichtert. Endlich wurde für mich das Schweigen erklärbar; und ich verstand auch, weshalb nach dem Sommer im Wallis, seine Wohnung plötzlich wieder so eingerichtet war, als lebe er allein. Deshalb gelang es mir von da an nicht mehr ihn mit einem schönen Essen zu erfreuen. Deshalb hatte er Stress und Verpflichtungen vorgeschoben und gemeinsamen Freizeitaktivitäten vermieden. 

Er legte mir einen ganzen Katalog von "Beweisen" vor, die seinen Verdacht bestätigen sollten. Zwar gestand er ein, dass er sich irren könne, aber der Gedanke sei nun mal in seinem Kopf und das lasse sich nicht ändern.

Ich war bestürzt darüber, dass er mich seit einem halben Jahr verdächtigt und mich die letzten zwei Tage mit seinem Schweigen abgestraft hatte, ohne auch nur einmal das Gespräch mit mir zu suchen und offen zu reden. Aber es kam noch schlimmer.

Corona (gem)einsam aussitzen

Nach dem PCR-Test beim Arzt legte ich mich wieder ins Bett und liess auf mich zukommen, was kommen würde. Natürlich machte ich mir Sorgen, wie mein Körper mit dem Virus fertig wird. Auf die Impfung hatte ich verzichtet, denn der Behauptung man könne nach der kurzen Forschungszeit schon sicher sagen, dass die Impfung keine Langzeitfolgen haben wird, konnte ich nicht vertrauen.

Während Antonio kaum Symptome hatte, hustete ich was das Zeug hielt. Ich litt darunter, dass Antonio kein Wort zuliess und auf nichts reagierte. Wäre ich in einem Hostel erkrankt, wäre garantiert jemand da gewesen, der ein bisschen mit mir geredet und gefragt hätte, wie es mir geht. Doch in unserem gemeinsamen Zimmer war ich von einem durchdringen Schweigen umgeben und damit vollkommen alleine. Es war schrecklich. 

Es war schmerzlich das der Mann, dem ich vertraut hatte, sich plötzlich feindlich verhielt. Es war traurig all das Schöne, das unsere Beziehung mit sich brachte zerbrechen zu sehen. Doch war ich auch dankbar, dass dies jetzt geschah und nicht erst nach dem Auswandern. Was hätte mich möglicherweise in einem fremden Land erwartet, wenn er mich in dieser gesundheitlichen Krise schon so behandelt?! Ich hatte das Gefühl knapp einem Desaster entkommen zu sein.

Einige Tage war ich unsicher, ob sich die befürchtete Lungenentzündung oder Long Covid doch noch einstellt. Aber ich versuchte ruhig in meinem Bett zu liegen und zu akzeptieren, was kommen würde. Schliesslich, so sagte ich mir, habe ich so viel von dem erlebt, was ich erleben wollte und es gibt nichts, was ich um jeden Preis noch tun muss.

Doch zum Glück kam mein Körper recht gut zurecht. Nach dem nächtlichen Fieber war ich noch eine Woche schlapp wie ein ausgeleiertes Gummiband. Doch danach ging es schnell wieder aufwärts.

Zweifach miese Stimmung,eine hohe Belastung und die Konsequenz

Nachdem ich Antonios eisiges Schweigen 10 Tage ertragen hatte, schilderte ich den Verantwortlichen bei der Disentiser Bergbahnen die Situation und bat dringend um ein eigenes Personalzimmer. Mich belastete dieses Verhalten und es machte mir Angst. Zwei Tage später erhielt ich die Information, dass es keine Zimmer gebe. Mir schien, dass die Dramatik meiner Lage unterschätzt wurde. Ich befürchtete, dass der unheimlichen Stille plötzlich eine Explosion folgen würde.

An meinem Arbeitsplatz in der Küche war die Stimmung nicht viel besser als in unserem Zimmer. Aufgrund des Schnuppertages hatte ich eine gute Zusammenarbeit erwartet. Aber als ich in Disentis ankam, erfuhr ich, dass seither das gesamte Küchenteam gewechselt hatte. Die neue Köchin und der Hilfskoch sprachen nur italienisch und ein wenig englisch und so blieben Unklarheiten und Missverständnisse nicht aus. Zwar begann ich sofort mit einem Italienischkurs und dank meiner Französischkenntnisse konnte ich vieles ableiten, aber im Gegensatz zum Saisonjob im Sommer war hier eine konstruktive Teamarbeit unmöglich. Die Konflikte zwischen der Köchin und dem Hifskoch, sowie die Reibereien zwischen der Köchin und mir waren mir eine Last. Die Versuche der Klärung waren anstrengend und endet für mich unerfreulich. 

Damals beim Saisonjob im Sommer hatte ich das Gefühl, meinem Chef eine Hilfe zu sein. Dass ich mitdenke wurde geschätzt und man arbeitete sich so gut es ging in die Hand. Doch in diesem Winterjob wurde mir gesagt "Du musst nicht denken, nur tun was ich sage." Doch manche Anweisungen waren für mich aufgrund der sprachlichen Hürde unverständlich oder widersprüchlich. Tat ich einfach mein Bestes war der Unmut der Köchin gross, weil sie etwas anderes erwartet hatte. Fragte ich vorsorglich nach, regte sie sich darüber auf, dass ich fragte.

Kam dazu, dass die Wochen vor meiner Erkrankung sehr anstrengend gewesen waren. 10-12 Stunden am Tag war eher die Regel als die Ausnahme. Wegen Personalmangel hatte ich einmal 11 Tage am Stück gearbeitet mit einem halben Tag Pause dazwischen. Dem folgte nach einem freien Tag ein Abschnitt von weiteren 6 langen Arbeitstagen ohne Unterbruch. An den darauffolgenden freien Tagen war an Freizeitaktivität nicht zu denken. Ich war ausgelaugt und platt.

"Das alles zusammen ist einfach zu viel, um es bis zum Saisonende Ende März oder gar Mitte April durchzuziehen" folgerte ich. Um die Belastung zu reduzieren, hätte mir zumindest die räumliche Trennung von Antonio ermöglicht werden müssen. Und so zog ich Ende Januar die Konsequenz und kündigte auf Ende Februar.

Und jetzt?

Der Schreck über all das was zwischen Antonio und mir passiert war sass tief. Es fühlte sich an wie damals als die Kette, die ich trug ohne Vorwarnung riss und sich ihre Einzelteile wild hüpfend auf dem Boden verteilten. 

Nach einige Tagen, in denen ich keinen Versuch machte an die Zukunft zu denken, suchte ich mir eine stille Ecke zusammen mit meinem Bullet Journal, blätterte durch meine Notizen und hielt bei der Seite mit meinen Big Five inne. Da wurde mir klar, was ich zu tun hatte. Wie bei der zerrissenen Kette galt es die Einzelteile einzusammeln und zu schauen, was noch vorhanden ist: Was bleibt mir von unseren gemeinsamen Plänen, obwohl wir sie nicht gemeinsam umsetzen werden? Und wie will ich meine Wünsche nun priorisieren?

Es war erstaunlich leicht. Mein Traum war es gewesen in einem Land zu leben in dem die Lebenskosten geringer sind, möglichst zeit- und ortsunabhängig mein Einkommen zu generieren und damit für das Reisen Zeit und Geld genug zu haben. Mit Antonio zusammen hätte ich mir ein Leben in Portugal vorstellen können. Ohne ihn war das Wo nicht mehr klar. Und so entschied ich, für einen Sommerjob zu sorgen und mir eine weitere Entdeckungsreise zu ermöglichen. 

Erste neue Pläne

Der Job lies sich denkbar leicht finden. Von Mitte April bis Oktober werde ich im Hostel Rotschuo in Gersau in der Küche arbeiten. Am wunderschönen Vierwaldstättersee in einem kleinen deutschsprachigen :-) Team mit vielen Schweizer Gästen. Es ist eine tolle Herausforderung. Ich freue mich sehr darauf.

Nachdem das geregelt war, musste ich mich noch durch die Kündigungszeit "durchbeissen". Nach den intensiven und konfliktreichen Arbeitstagen kam ich ins Zimmer zurück in dem dieser schweigende Mann sass, der sich völlig abkapselte. Das war hart. Schön war, dass es Spass machte mit dem Serviceteam zusammenzuarbeiten; auch ein nettes Gespräch oder Spässchen war mit diesen KollegInnen möglich. Zudem hatte ich das Glück, dass mir eine Arbeitskollegin anbot ihr Zimmer zu nutzen, wenn sie bei Freunden war oder arbeitete. So konnte ich einige Nächte und meine freien Tage alleine verbringen. Das war eine riesige Entlastung.

Und dann packte ich am 1.3. meine Koffer und verliess Disentis. In Lyss packte ich erst alles aus und einen Teil wieder ein. Ich machte mich auf in ein neues Abenteuer mit dem Rucksack:  

Mit Zug und Bus Richtung Bulgarien. 

Der Bericht dazu ist hier (Link)

© 2019 besser-als-zuvor, Daniela Räber, 6356 Rigi-Kaltbad
Unterstützt von Webnode
Erstellen Sie Ihre Webseite gratis!